Prof. Dr. Ursula Münch Direktorin der Akademie für Politische Bildung & Jan Fleischhauer Journalist, Kolumnist und Autor am 09.04.2024

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von Simone Lapossy


Westin Grand Hotel, Arabellastrasse 6; 81925 München
(Google Maps)
19:00
Anmeldeschluss: 05.04.2024
Abmeldeschluss: 05.04.2024

Nachlese

zur Podiumsdiskussion mit

 

Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie Politische Bildung, Tutzing und Jan Fleischhauer, Journalist, Kolumnist und Autor

 

The Westin Grand Munich

Arabellastraße 6

81925 München

 

Dienstag, 09. April 2024


Die April-Veranstaltung des Peutinger-Collegiums e.V. im Jahr 2024 beleuchtete die aktuelle Politik der Ampelkoalition, deren Wahrnehmung in der Bevölkerung, den Zustand unserer Demokratie und die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft in Deutschland. Zu Beginn begrüßte Dr. Andreas Bachmeier, Präsident des Peutinger-Collegiums e.V., alle anwesenden Mitglieder und deren Gäste und entschuldigte zunächst die kurzfristige Absage des zweiten Termins im März, der aber mit einer Ersatzveranstaltung nachgeholt werde. Anschließend begrüßte er die beiden Neumitglieder Änne Jacobs und Johann Langenegger.

Präsidiumsmitglied Tilmann Röder übernahm im Anschluss die Moderation und hieß die beiden Podiumsgäste des Abends willkommen: Die Politikwissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Ursula Münch und den Journalisten Jan Fleischhauer. Frau Prof. Dr. Münch gehört momentan zu den bekanntesten und profiliertesten Politikwissenschaftlerinnen Deutschlands.  Insbesondere im Bereich der Parteien- und Föderalismusforschung ist sie mittlerweile auch einem breiteren Publikum bekannt. Zudem ist sie regelmäßig in verschiedensten Medien zu finden, unter anderem im bayerischen Fernsehen beim Sonntagsstammtisch, in der Tagesschau oder der SZ. Die Zeit nannte sie 2020 eine der besten Erklärerinnen der CSU-Politik überhaupt. 2023 wurde sie für ihre Verdienste mit dem Bayerischen Verfassungsorden ausgezeichnet. In ihrem Impulsvortrag stellte Frau Prof. Dr. Münch fünf Thesen zum Zustand des politischen Systems in Deutschland auf:

These 1: Die bundesdeutsche Gesellschaft ist nicht gespalten und schon gar nicht in zwei antagonistische Lager, wie das beispielsweise in der amerikanischen Gesellschaft tatsächlich viel eher der Fall sei. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland bewege sich weiterhin in der politischen Mitte.

These 2: Die Wahrnehmung, man könne in Deutschland „nicht mehr alles sagen, was man will“ stimmt nicht. Zwar könne man manche Sachen tatsächlich nicht mehr äußern. Das beziehe sich aber beispielsweise auf frauenfeindliche, antisemitische, antimuslimische oder rassistische Äußerungen.

These 3: Die Unversöhnlichkeit in der Gesellschaft nimmt zu. Frau Prof. Dr Münch führte diese These an mehreren Beispielen aus und ging auf eine Befragung des Instituts für Demoskopie in Allensbach aus dem August 2023 ein. Auf die Frage, ob man das Gefühl habe, die Politik wolle einem immer mehr vorschreiben, wie man sein Leben zu führen habe, gab es je nach Parteienpräferenz fast ausschließlich Zustimmung oder Ablehnung. Ähnliche Beobachtungen gebe es auch beim Blick auf die Diskussion zu den Aktionen der Letzten Generation, dem Genderverbot in Bayern oder den Waffenlieferungen an die Ukraine.

These 4: Die amtierende Bundesregierung hat offenkundig viele inhaltliche Fehler gemacht und ist sich in einem für die Allgemeinheit schädlichen Ausmaß uneins. Statt eine Dynamik zu entfalten, die den weitgehenden Stillstand während der großen Koalition mit Wettbewerbs- und Zukunftsorientierung begegnet, führt die Kombination aus dem einmaligen schlechten Abschneiden einer Kanzlerpartei, der enormen Krisendichte und dem gegenseitigen Misstrauen der Koalitionspartner zu einem in dieser Dimension noch nie dagewesenen Ansehensverlust in der Bevölkerung und in der Wirtschaft. Die Ursachen dafür liegen aber nicht allein bei den handelnden Personen und Parteien, sondern sie liegen auch in einer Konstellation, die nach einem Regierungswechsel nicht verschwinden wird.

These 5: Die Einschätzung über die Folgen eines möglichen Wahlerfolgs der AfD in Thüringen oder Sachsen gehen weit auseinander. Der Appell: Lasst sie mal regieren, die Wähler werden schon merken, dass die auch nichts können, ist ihres Erachtens nicht nur sachlich falsch, sondern er würde bei einer Umsetzung unsere freiheitliche Demokratie gefährden.

Nach diesem Impulsvortrag folgte eine Podiumsdiskussion mit Jan Fleischhauer, der in den 1980er Jahren zunächst ein Studium der Literaturwissenschaften und Philosophie in Hamburg abschloss. Nach einem längeren Praktikum bei der Münchner Abendzeitung und einem Besuch der Henri-Nannen-Schule für Journalisten in Hamburg, arbeitete Jan Fleischhauer ab 1989 in verschiedenen Funktionen als Redakteur beim Spiegel, unter anderem als Leiter des Hauptstadtbüros und Anfang der 2000er als Wirtschaftskorrespondent in New York. Im Jahr 2019 wechselte Fleischhauer zum Burda-Verlag und wurde Mitglied der Chefredaktion des FOCUS. Sein Sachbuch ‚Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde zählte 2009 zu den meistverkauften Sachbüchern Deutschlands und hielt sich mehrere Monate in der Spiegel-Bestsellerliste.

Zu Beginn kritisiert Fleischhauer den aktuellen Entwurf des Demokratiefördergesetzes der Ampelregierung. Die Kritik präzisierte er an zwei Aspekten des Gesetzes: Zum einen sei eine Verstetigung der Fördermittel für „die eigenen Truppen, die in der Demokratieförderung tätig sind, also die ganzen Antifa-Gruppen“ über drei bis fünf Jahre ohne Evaluation nicht sinnvoll. Vor allem aber kritisierte er die geplante Einführung einer neuen Stufe bei Delikten gegen die Meinungsfreiheit, die zwar strafrechtlich nicht relevant seien, die man aber gleichwohl verfolgen möchte. Insbesondere die Kategorie der Delegitimation des Staates könne zur Einschränkung der Meinungsfreiheit missbraucht werden, so Fleischhauer. Auch Prof. Dr. Münch betonte, dass sie das Demokratiefördergesetz in vielen Aspekten problematisch sehe, gerade auch die angesprochene Deliktskategorie der Delegitimation des Staates, die tatsächlich als Einfallstor genutzt werden könne. Gleichzeitig müsse man sich aber auch die Frage stellen, warum tut man das? Hier sehe man eine gewisse Hilflosigkeit des Staates, weil es im Grunde tatsächlich Versuche gebe, die repräsentative Demokratie und die Gewaltenteilung momentan in Abrede zu stellen. Hier müsse man sehr wohl hinschauen, allerdings sei das Kriterium der Delegitimation des Staates kein Kriterium, das in einem Demokratiefördergesetz festgeschrieben werden solle oder ein sinnvolles Kriterium für den Verfassungsschutz, so Prof. Dr. Münch.

Mit Blick auf die Frage der Spaltung der Gesellschaft, waren sich die Diskutanten einig. Auch Fleischhauer sehe noch keine Spaltung der Gesellschaft in zwei Lager. Möglicherweise habe man aber größere Ränder, gerade mit Blick auf die AfD. Problematisch sei allerdings das gestiegene Erregungspotenzial durch neue Medien, insbesondere durch abseitige Meinungen. Prof. Dr. Münch stellte in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Frage, woher das Gequatsche von der Spaltung der Gesellschaft überhaupt komme. Diese Aussage werde zwar von den Medien beflügelt, aber ihres Erachtens ist es vor allem auch im Interesse von Extremisten, von einem Untergang des Abendlandes zu reden.

Tilman Röder stellte danach die Frage, ob wir inzwischen zwar keine Spaltung der Gesellschaft, aber immer extremere Positionen in der Politik haben. Laut Prof. Dr. Münch sei dies nicht der Fall, auch nicht bei der aktuellen Gesetzgebung, beispielsweise der Cannabis-Legalisierung, des neuen Staatsangehörigkeitsrechts oder der Krankenhausreform. Mit Blick auf die angesprochene Gesetzgebung und die kontroversen Debatten dazu, betonte Fleischhauer allerdings, dass die Menschen derzeit das Vertrauen in die Politik verlören. Besonders mache die Leute das Gefühl verrückt, dass die aktuelle Regierung den Blick und den Kontakt zur Realität verloren habe. So habe das Vertrauen der Bevölkerung in die Bundesregierung einen Tiefstand erreicht. Und dieser Vertrauensverlust könne ganz schnell zu einem Vertrauensverlust in das politische System allgemein führen. Und davor müssen man sich hüten.

Frau Prof. Dr. Münch verdeutlichte im Anschluss, dass die Bundesregierung zwar viele Fehler gemacht habe und viele Gesetze falsch angegangen sei, allerdings habe die aktuelle Bundesregierung auch mit einem kolossalen Problem zu kämpfen, nämlich den dramatisch gestiegenen Energiekosten. Das hätte eine andere Regierung unter den aktuellen Bedingungen vermutlich genauso getroffen. Zumal ihrer Meinung nach eines der Erfolgsrezepte bundesdeutscher Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte der Zugang zu billiger Energie war. Auch dürfe man nicht vergessen, dass momentan Themen der Infrastruktur angegangen werden, die in 20 Jahren der deutschen Wirtschaft und der künftigen Bundesregierung von Nutzen sein werden. Fleischhauer attestierte der Bundesregierung zwar eine gute Leistung zu Beginn der Energiekrise, als man nach dem Einfall Russlands in die Ukraine mit dem Rücken zur Wand stand. Das hätten auch die Leute anerkannt. Dann kam aber die Frage nach der Abschaltung der Kernkraftwerke. Und in dem Moment, wo jede einzelne Kilowattstunde ein patriotischer Beitrag gewesen war, die drei Kernkraftwerke abzustellen, das könne man den Leuten nicht erklären. Und jetzt, ein halbes Jahr später, wird die große Gas-Kraft-Strategie aufgelegt, die genau die Energie bereitstellt, die man vorher nicht als Atomkraft gebraucht habe.

Eine der letzten Fragen der Podiumsdiskussion drehte sich schließlich um die Fähigkeit der Politik, die aktuellen Probleme der Menschen zu lösen. Laut einer Umfrage der R+V Versicherung aus dem Jahr 2023 sind die Top 7 Sorgen der Menschen in Deutschland: Steigende Lebenshaltungskosten, Wohnen in Deutschland unbezahlbar, Steuererhöhungen/Leistungskürzungen, Überforderung des Staates durch Geflüchtete, schlechtere Wirtschaftslage, Überforderung der Politikerinnen und Politiker, die Kosten für Steuerzahler durch EU-Schuldenkrise. Tilman Röder stellte mit Blick auf die Sorgen der Deutschen die Frage, ob die politischen Parteien in Deutschland diese Probleme adressieren. Prof. Dr. Münch gab in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass die Politik versuche, darauf vor allem programmatisch zu reagieren. Allerdings bestehe inzwischen eine sozialisierte Erwartungshaltung an den Staat, die die die Parteien einlösen sollen, die sie aber nicht mehr erfüllen können. Dies würden nun unseriöse Parteien mit Behauptungen ausnutzen, dass für die Probleme doch Geld sei, man dürfe nur keine Flüchtlinge mehr aufnehmen oder keine Klimapolitik betreiben.

In der anschließenden, wenn auch kurzen, Diskussionsrunde mit dem Publikum, brachte ein Anwesender, stellvertretend für viele Mittelständler in Deutschland, die Stimmung auf den Punkt: Der Mittelstand habe momentan ein enormes Frustrationspotential, wie es in den letzten 30-40 Jahren nicht bestand und man habe das Gefühl, dass die Politik ihre Hausaufgaben nicht mache und nicht aus ihren Fehlern lerne.

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