"Glaube und Kirche in der modernen Gesellschaft" am 12.01.2023

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von Admin Admin


Bayerischer Hof, Promenadenplatz 2 - 6, 80333 München
(Google Maps)
19:00

Nachlese

zu einem Vortrag von

Kardinal Reinhard Marx
Erzbischof von München und Freising

„Glaube und Kirche in der modernen Gesellschaft“

Vortrag im Bayerischen Hof

Königssaal
Promenadenplatz 2 - 6

80333 München

 

am Donnerstag, 12. Januar 2023


Dr. Andreas Bachmeier, Präsident des Peutinger-Collegium e.V., eröffnet die Veranstaltung und damit die Veranstaltungsreihe des neuen Jahres 2023. Es sei noch früh im Jahr, viele Wünsche seien damit verbunden: Es soll besser werden als im Vorjahr. Viel Trauriges sei passiert im Jahr 2022, neue Blicke auf die Realität seien dadurch entstanden. Fragen zu Internationaler Sicherheit und Zusammenarbeit, aber auch zu Kirche und Sinnstiftung, hätten die Menschen bewegt. Die Peutinger würden sich auf das neue Jahr freuen – mit neugewählten Gremien. Auch in der Struktur des Collegiums habe es eine entscheidende Änderung gegeben: Die jungen Peutinger wurden mit allen Rechten als vollwertige Mitglieder in das Collegium aufgenommen.

Herr Bachmeier leitet in den Vortrag des Abends über. Kirchenaustritte, die Debatte über den synodalen Weg und das Begräbnis des bayerischen Papstes Benedikt XVI. seien ein spannender Hintergrund für den heutigen Vortrag. Es gehe um Sinnstiftung und Lösung der großen Zukunftsfragen. Dr. Julian Traut, Vorsitzender der Jungen Peutinger, stellt den Referenten vor. Kardinal Reinhard Marx sei seit 15 Jahren Erzbischof von München und Freising. Zudem sei er seit 12 Jahren Kardinal. „Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“, zitiert Herr Traut den gebürtigen Westfalen. Freiheit sei ein wesentlicher Teil unseres Glaubens. Freiheit sei Voraussetzung für Liebe. Das bedeute auch, dass sich Menschen in Freiheit in die Hand Gottes begeben. Kardinal Reinhard Marx beschäftigt sich mit diesen Fragestellungen der Verbindung von Tradition und Moderne. Der heutige Vortrag widme sich diesem zentralen Thema.

Kardinal Marx bedankt sich für die Begrüßung und beginnt seinen Vortrag mit einer Frage: Stehen Kirche und Glaube vor einem unaufhaltsamen Abstieg? Viele Menschen würden sich die Frage stellen, welche Rolle Religion für den eigenen Glauben einnimmt. Herr Marx berichtet von Gesprächen, in denen Menschen die Sorge äußern, eine reflektierte Form des Christentums könne verschwinden. Noch in den 1970er Jahren habe man angenommen, dass die Bedeutung von Religion in modernen Gesellschaften abnimmt. Doch heute sehe man das anders. Religion verändere sich, aber sie verschwinde nicht. Neue Religionen würden in der Gesellschaft auftreten. Kardinal Marx stellt fest: Religion und Mensch, das gehört zusammen.

Bereits die ersten Spuren der Menschheit würden darauf hindeuten, dass der Mensch einen Hang zu religiösen Phänomenen hat. Die zentralen Fragen seien: Was bedeutet Religion? Und was nutzt sie? In jedem Fall bleibe sie auch in der modernen Gesellschaft virulent. Kardinal Marx bezieht sich auf das jüngste Werk des Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas. Hier werde unter anderem der funktionale Aspekt von Religion beleuchtet. Werte, Kultur und politische Rechtfertigung würden diesen soziologischen Blick bestimmen. Dies sei ein interessanter Ausgangspunkt für Überlegungen über die Rolle von Religion und Kirche in der modernen Gesellschaft. Schon in der Bibel seien Spannungen zwischen dem staatlichen Feld und dem religiösen Feld beschrieben worden. Propheten hätten sich dem Staat entgegengestellt. Die biblische Religion habe etwas unangepasstes. So sei der Prophet Samuel den Gelehrten in Kanaan entgegengetreten und habe sich gegen die Krönung eines Königs gestellt. Dieses frühe Beispiel zeige: Religion ist dennoch nicht frei davon, vereinnahmt zu werden. Auch das Markus-Evangelium beschreibe, wie sich Jesus gegen „Wahrheitsbesitzer“ gestellt habe. Grundsätzlich sei der Monotheismus ein gewaltiger Einschnitt: Gott sei nun kein Teil der Welt mehr, er sei zu ihrem Schöpfer geworden. Die Menschen hätten damit ihren Anspruch auf Zugang zu Gott verloren. Er sei nun frei, er selbst entscheide, wann er sich zeige.

Das stelle einen radikalen Einschnitt in die Religionsgeschichte dar. Kardinal Marx verweist in einer Referenz auf Papst Benedikt XVI. Demnach sei das Christentum nicht die Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln, sondern vernunftbegabte Aufklärung. Das sei ein gewaltiger Einschnitt, der das europäische Verständnis von Religion geprägt habe. Wie wäre die Moderne ohne das Christentum entstanden? Es handle sich um eine wechselseitige Beziehung, auch westliche Werte hätten Einfluss auf das Christentum gehabt. Der Anfang des Freiheitsgedankens liege auch in diesen Werten. Die Kirche hätte dem Staat die Stirn gezeigt, sie kümmere sich um das Herz des Menschen. Darin hätte sich auch die Autonomie von Staat und Kirche begründet. Ein historisches Beispiel hierfür sei der Napoleonische Friedensvertrag. Er habe bewusst die Schuldfrage offengelassen. Möglich sei dies nur gewesen, weil es Religion als gemeinsamen Bezugspunkt gegeben hätte. Und auch eine freie Gesellschaft setze einen übergeordneten Bezugspunkt voraus. Gleichzeitig sei die Achillesferse der modernen Gesellschaft folgende Frage: Sind die Menschen bereit, sich in Freiheit zu binden und dafür Opfer zu bringen?

Kardinal Marx geht auf die Grundsätze unserer Gesellschaft ein. Dies sei die Einsicht und der moralische Impuls des gemeinsamen Mensch-Seins. Dies zeige sich auch in den biblischen Wurzeln der Verfassung: Gott schuf Adam und Eva als Mann und Frau zu seinem Gleichnis. Somit seien alle Menschen Kinder Gottes. Das sei eine wichtige Idee, auch in der Zukunft. Die Herleitung der Würde des Menschen sei ohne einen Rückgriff zu Religion nicht ganz einfach. Die entscheidende Frage mit Blick auf die Zukunft unseres liberalen Gemeinwesens: Wie soll verantwortliche Freiheit gelebt werden? Eine Möglichkeit sei die Privatisierung der Religion. Ein anderer Weg sei die Staatsreligion. Von diesem Weg habe man sich in Deutschland genauso verabschiedet wie vom Laizismus. Zweifelhaft sei eine schamanenhafte Religion oder eine Religion, die politischer Legitimation diene. Das Ziel müsse also eine Religion sein, die diskursfähig sei.

Wichtig sei dabei aber auch, die eigenen Grenzen zu erkennen. Das Christentum habe den Anspruch, mit Andersdenkenden zu sprechen und sich mit Intellektuellen auseinanderzusetzen. Offenheit sei die Voraussetzung dafür. Aber auch eine Offenheit von Seiten der Gesellschaft sei dafür nötig. Eine moderne Gesellschaft müsse die Weltanschauung anderer tolerieren. Das gelte gleichzeitig für die Kirche: „Wir glauben an die Auferstehung, aber wir erlauben euch, nicht daran zu glauben“, fasst Kardinal Marx zusammen.

Die Geschichte von Jesus aus Nazareth sei eine Geschichte für alle Menschen. Durch sein Auftreten werde deutlich, dass es Grenzen gibt für die Macht der Menschen. Das zeige sich im Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf. Kardinal Marx verweist auf die Anfangsfrage seines Vortrags: „Sind Religion und Kirche im Niedergang?“ Die Krise liege tief, das würden die Kirchenaustrittszahlen zeigen. Generell lasse sich eine wachsende Trennung von der institutionalisierten Religion feststellen. Für Kardinal Marx ist die aktuelle Entwicklung kein Niedergang, sondern ein Transformationsprozess. Der entscheidende Punkt sei nun, wie daraus etwas Neues entstehen könne. Dazu gehöre auch Selbstkritik: Gefragt sei eine wissenschaftliche Theologie, die selbstkritisch die Kirche betrachtet. Eine Antwort darauf sei die synodale Kirche. Dieser Transformationsprozess müsse gemeinsam angegangen werden. Gleichzeitig berge dieser Weg auch die Gefahr, sich dem Zeitgeist hinzugeben. Deshalb gebe es das diakonische Amt. Das Ziel müsse sein, gemeinsam in den Zeichen der Zeit zu lesen. Perspektivisch habe ein Glaube, der schöne Gefühle hervorruft, aber banal ist, keine Zukunft. Das Ziel müsse ein Glaube sein, der sich der Vernunft und der Wissenschaft stellt. Das Ziel müsse eine Kirche sein, die kraftvoll und präsent im Kern der Gemeinschaft sitzt.

Herr Bachmeier bedankt sich bei Kardinal Marx für den Vortrag und eröffnet die Diskussionsrunde.

Diskussionsrunde

Frage: Welche Rolle hat Religion in einer postmodernen Welt? Viele suchen Antworten in der Soziologie und Philosophie.

Kardinal Marx: In einer freien Gesellschaft sind wir nicht Anbieter einer einzigen Lösung.

Frage: Wenn Sie am Morgen erwachen, nachdem ein Wunder geschehen ist. Woran würden Sie es erkennen?

Kardinal Marx: Das Leben selbst ist ein Wunder.

Frage: Wie entwickelt sich der Umgang der Kirche mit Frauen?

Kardinal Marx: Das ist eine Diskussion, die auf weltkirchlicher Ebene geführt wird. Das ist das Risiko der katholischen Kirche. Auf der einen Seite bietet sie eine große Chance: keine Religionsgemeinschaft ist weltweit so organisiert. Gleichzeitig birgt diese Organisation auch die Gefahr, zentralistisch zu überziehen und die Vielfalt zu verlieren. Es ist ein langsamer Weg der Veränderung. Fragen der Erneuerung sind mühsam.

Die Diskussion endet mit einem Dank von Herrn Bachmeier an Kardinal Marx. Abschließend verweist Herr Bachmeier auf die nächste Veranstaltung des Peutinger-Collegiums.

 


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