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Nachlese

zu einem Vortrag von

Admiral Joachim Rühle

Chief of Staff des Supreme Headquarters Allied Powers Europe

 

„Krieg in der Ukraine und die Konsequenzen für die NATO“

 

Vortrag im WESTIN GRAND

Arabellastraße 6

81925 München

 

am Dienstag, 14. Februar 2023


Dr. Julian Traut, kooptiertes Mitglied im Präsidium des Peutinger-Collegium e.V., eröffnet die Veranstaltung. Er übermittelt Grußworte von Präsident Dr. Andreas Bachmeier. Die Peutinger hätten sich seit jeher mit Fragen der Sicherheitspolitik beschäftigt. Deshalb freue man sich jetzt auf den Vortrag von Admiral Joachim Rühle.

Herr Traut übergibt das Wort an Christine Gärtner, Präsidiumsmitglied des Peutinger-Collegium e.V., zur Vorstellung des Referenten. Admiral Rühle ist seit 30. September 2020 im Amt des Stabschefs alliierter Streitkräfte in Europa. Er trat 1978 in die Marine ein und durchlief die Offiziersausbildung. Anschließend absolvierte er ein Maschinenbaustudium an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Seine Dienstzeit begann er als Wachoffizier auf Patrouille-Booten. Anschließend war er leitender Offizier auf der Fregatte Emden. Admiral Rühle besuchte 1993 den Lehrgang für Admiräle. 2011 besuchte er das US Naval War College in Newport, USA. Admiral Rühle hat ein breites Spektrum an leitenden Stabsoffiziersposten in höheren Kommando-Oberbehörden durchlaufen. Von 2010 bis 2012 war er als Director Knowledge Management beim Joint Force Command Naples der NATO tätig. Ab 2012 wurde er Generaldirektor für Planung. 2014 übernahm Admiral Rühle die Leitung der Abteilung Personal im Bundesministerium der Verteidigung. Ab 2017 begleitete er die damalige Bundesministerin Ursula von der Leyen als Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr bei allen Reisen. 2020 übernahm Admiral Rühle den Dienstposten als Chef des Stabes des Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) im belgischen Mons. Heute widmet er jede freie Minute seinen zwei Kindern und sechs Enkeln.

Admiral Rühle bedankt sich für die Begrüßung. Er fühle sich geehrte über die zahlreiche Beteiligung. Er habe nun 2,5 Jahre mit Positionen innerhalb der NATO verbracht. Es kämen wohl weitere 1,5 Jahre dazu. Das letzte Jahr sei eine unvergleichbar intensive Zeit gewesen: Explosionen an einer Ostseepipeline, Einschlag einer Rakete in Polen, Cyberangriffe. Diese Fälle seien in der Vergangenheit nur Übung gewesen. Eines habe sich nicht verändert: Wesenskern der NATO ist der kollektive Bündnisfall. Der Krieg in der Ukraine habe eine grundlegende Lageänderung herbeigerufen.

Admiral Rühle beginnt mit grundsätzlichen Einordnungen: Erstens, Geographie sei der Treiber von Russlands Sicherheitspolitik. Russlands strategische Tiefe, das Klima und der Ural als natürliches Hindernis würden es jedem Angreifer schwer machen. Einzige Ausnahme: Im Westen sei Russland verwundbar. Hier öffne sich das Land zur nordeuropäischen Tiefebene. Der zweite Faktor sei die Lage der russischen Enklave Kaliningrad. Sie liege zwischen Polen und Litauen. Drittens, die strategische Bedeutung von ganzjährig eisfreien Häfen wie Murmansk im Nordwesten Russlands und Sewastopol am Schwarzen Meer. Diese Faktoren würden einen Kontext beschreiben, in dem Wladimir Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion zu revidieren versucht.

Admiral Rühle blickt auf den Verlauf des Konfliktes. Die russischen Streitkräfte hätten ihre Stärke und Kampfmoral überschätzt. Gleichzeitig hätten sie die Hilfsbereitschaft des Westens gegenüber der Ukraine unterschätzt.  Vor diesem Hintergrund stelle sich nun die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer nuklearen Eskalation. Gegenwärtig gäbe es keine Indikatoren, die auf eine solche Eskalation hindeuten würden. Wenn es allerdings gelänge, unter dem Schild dieser Drohkulisse einen konventionellen Angriffskrieg fortzuführen, müsste die taktische Rolle von Atomwaffen anders gedacht werden. Gleichzeitig müsse man alles tun, um der Eskalation planerisch entgegen zu wirken.

Admiral Rühle geht auf die Vorbereitungen der Nato im Vorfeld des Konflikts sowie der Rolle des strategischen Hauptquartiers ein. Bereits 2021 hätte es hinreichend Anzeichen gegeben, dass die Konzentration russischer Truppen über die von Moskau angegeben Manöver hinaus geht. Die Herausforderung sei es gewesen, 30 NATO-Mitgliedsstaaten davon zu überzeugen, dass Geschlossenheit im Bündnis Schlüssel zum Erfolg ist. Zu Beginn des Angriffs konnte innerhalb von weniger als fünf Stunden die zeitgleiche Aktivierung von fünf einzelnen Verteidigungslinien befohlen werden. Im laufenden Konflikt gehöre dazu zudem die fortdauernde Anpassung der Pläne. Zuletzt habe die NATO ihre Präsenz im Osten verdoppelt. Das gelte für die baltischen Staaten und Polen, aber auch für Ungarn, die Slowakei, Rumänien und Bulgarien.

Das Supreme HQ der NATO hätte hier eine einzigartige Scharnierfunktion. Einerseits setze der Stab Vorgaben militärischer Aktionspläne aus Brüssel um und plane auf strategischer Ebene Einsätze der NATO, beispielsweise im Kosovo und im Irak.  Andererseits arbeite das Supreme HQ dem NATO-Hauptquartier in Brüssel zu, um politischen Entscheidungsträgern den Spielraum zu bereiten, der in einer Allianz notwendig ist. Eine Organisation, die nicht zum richtigen Zeitpunkt agiert, könne die Initiative verlieren. Deshalb sei das Ziel: Die Truppe kennt ihr Operationsraum bereits im Frieden, verfügt über resiliente Netzwerke und kann auf ein logistisches System zurückgreifen, das Geschwindigkeit garantiert.

Zum Ende blickt Admiral Rühle auf das zurück, was die NATO in letzten zwölf Monaten geleistet hat, dabei zieht er eine positive Bilanz: Die Geschlossenheit sei bei 30 Nationen kein Selbstläufer. Die laufenden Einsätze und Missionen würden zur Stabilität in Regionen beitragen, die von hoher strategischer Relevanz sind. Die Überzeugungskraft des Wesenkerns des Bündnisses – kollektive Verteidigung – habe in Schweden und Finnland für ein Umdenken gesorgt. Die NATO habe die kollektive Fähigkeit, auf humanitäre Krisen zu reagieren und stelle dies nun nach dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien weiter unter Beweis. SHAPE sei für ihn der Höhepunkt seiner Karriere. 1978 sei er in die damalige westdeutsche Bundesmarine beigetreten, damals sei der Warschauer Pakt der Gegner gewesen. Nie hätte er gedacht, am Ende seiner Laufbahn einen Angriffskrieg in Europa zu sehen. Er sei stolz auf die Frauen und Männer, die Sicherheit garantieren.

Herr Traut bedankt sich bei Admiral Rühle für den Vortrag und eröffnet die Diskussionsrunde.

Diskussionsrunde

Frage: Wie erklären Sie sich, dass wir zur Bewaffnung der Ukraine so viele unterschiedliche Aussagen der Generalität wahrnehmen?

Admiral Rühle: Es sind ganz wenige in Pension befindliche Generäle, die sich hier kritisch äußern.  Aktuell haben wir 220 Generäle in der Bundeswehr. Wir müssen uns auch mit anderslautenden Meinungen auseinandersetzen.

Frage: Wie sieht die Zukunft der NATO aus, sollte sich die USA in Zukunft aus dem Bündnis zurückziehen?

Admiral Rühle: Beim Angriff der Ukraine hatten wir die glückliche Situation, Regierungen vorzufinden, denen die Tragweite der Ereignisse bewusst war. Derzeit erleben wir einen US-Präsidenten, hinter dem sich die Nationen versammeln. Wir brauchen auch für zukünftige Konflikte eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Der Plan B ist, sogenannte „Coalitions of the Willing“ zu bilden, an denen sich nur ein Teil der Bündnis-Nationen beteiligt.

Frage: Spielt die NATO im Falle eines sino-amerikanischen Konflikts auch im indo-pazifischen Raum eine Rolle?

Admiral Rühle: Es gibt eine Verbindung zwischen Russland und China. Es ist nicht auszuschließen, dass ein erneuter Konflikt parallel stattfinden könnte. Die NATO ist allerdings auf das Bündnisgebiet ausgerichtet. Berücksichtigte Szenarien sind ein Konflikt mit Russland oder Terrorgruppen. Wir beobachten die Situation.

Frage: Wie stellen die 30 genannten Staaten sicher, dass die Ukraine rechtzeitig Waffen und Munition erhält?

Admiral Rühle: Die Ukraine ist im Vergleich zu Russland ein kleines Land. Als Einzelperson und nicht in meiner Funktion als NATO-Vertreter sage ich Ihnen: Ich bin dafür, die Ukraine auch mit Kampfflugzeug-Lieferungen zu unterstützen. Dazu gehört eine Ausbildung an diesen Systemen.

Frage: Ändert der Krieg die Lage so, dass Ukraine eine NATO-Mitglied wird?

Admiral Rühle: Da laufen die Verhandlungen. Ich glaube nicht, dass es hier eine schnelle Lösung gibt. Der NATO-Beitritt eines Landes, das sich im Krieg befindet, muss genau überlegt werden. Das ist die Aufgabe der Außenpolitik, nicht des Militärs.

Frage: Wie wird Deutschland in der NATO gesehen?

Admiral Rühle: Es gibt eine Berliner Blase, die die Bundeswehr stark kritisiert. Im NATO-Hauptquartier bekomme ich das anders mit. Wenn wir auf die großen Nationen unseres Bündnisses schauen, wie Großbritannien oder Frankreich, sehen wir, dass nicht nur Deutschland Herausforderungen in der Beschaffung hat. Die Frage, wie einsatzfähig eine Armee sein muss, wenn der Krieg vor dem Hause steht, ist anders definiert, als in früheren Jahren.

Frage: Welche Voraussetzungen können ein Ende des Kriegs oder einen Waffenstillstand nach sich ziehen?

Admiral Rühle: Die Frage kann keiner beantworten. Wenn wir in der aktuellen Lage einen Waffenstillstand aushandeln würden, könnte das Regime in Russland die Aktion als Erfolg darstellen. Meine Meinung als Einzelperson, nicht als NATO-Vertreter: Das könnte dann in absehbarer Zeit einen neuen Konflikt nach sich ziehen und ist damit keine Option.

Frage: Über lange Zeit hat es vertrauensvollen Austausch mit sowjetischer Seite gegeben. Wie nehmen sie Persönlichkeiten auf der russischen Seite wahr?

Admiral Rühle: Ich war in der Vergangenheit mehrfach in Moskau. Das sind Meschen wie Sie und ich. Zur Zeit von Glasnost, haben wir uns ziemlich ehrlich ausgetauscht. Aktuell gibt es wenig Gespräche. Das liegt nicht an den Menschen, das liegt am Regime darüber.

Frage: Wie beurteilen sie die Kampfkraft der russischen Seite?

Admiral Rühle: Ich kann da aufgrund der Geheimhaltung nicht zu tief gehen. Das was Russland in Manövern gezeigt hat, ist nicht das, was wir derzeit sehen.

Frage: An welchem Punkt ist der Westen kriegsbeteiligt?

Admiral Rühle: Keine unserer Waffen wird in Russland eingesetzt. Wir operieren nur im rechtswidrig besetzten Gebiet in der Ukraine. Wir sind ein defensives Bündnis. Wenn wir Waffen liefern an ein angegriffenes Land, ist das völkerrechtskonform. So werden wir nicht Kriegsteilnehmer.

Frage: Gibt es eine Strategie als Reaktion auf mögliche Schläge gegen die kritische Infrastruktur im Westen?

Admiral Rühle: Das ist das Gebiet der hybriden Kriegsführung. Wie bereits erwähnt, haben wir am Wochenende Cyberangriffe erlebt. Wenn Öl- oder Gaspipelines angegriffen würden, würde das Artikel 5 des Bündnisses rechtfertigen. Es ist aber oftmals keine militärische Frage. Die Pipelines sind meist im Besitz von Unternehmen. Das gleiche gilt für Schiffe.

Die Diskussion endet mit einem Dank von Herrn Traut an Admiral Rühle. Abschließend verweist Herr Traut auf die nächste Veranstaltung des Peutinger-Collegiums.

 


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