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Nachlese

zu einem Vortrag von

Dr. Katja Wildermuth
Intendantin des Bayerischen Rundfunks

" Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Zeiten von Digitalisierung und gesellschaftlicher Polarisierung "

Online Vortrag (gesendet aus dem Westin Grand München)
am Mittwoch, 26.01.2022


Der Präsident des Peutinger-Collegium e.V., Dr. Andreas Bachmeier, begrüßt die Referentin sowie die Peutinger-Mitglieder und Gäste. Aufgrund der aktuellen pandemischen Lage sei man erneut gezwungen gewesen, auf ein Online-Format zurückzugreifen. In der Vorbereitung auf den heutigen Abend habe sich herauskristallisiert, dass es einige Parallelen zwischen dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR) und den Peutingern gibt: Beide hätten sich Information, Unterhaltung und Diskurs verschrieben. In diesem Winter voller gesellschaftlicher Debatten über die Pandemie, die neue Bundesregierung, Diversität und internationaler Konflikte gebe es keinen passenderen Gast als Dr. Katja Wildermuth. Herr Bachmeier ergänzte einige persönliche Informationen über die Referentin: geboren in Berlin, aber aufgewachsen ab dem 3. Lebensjahr in Anzing im Osten von München. Nach dem Abitur folgte das Studium Lehramt Deutsch und Geschichte an der LMU in München. Anschließend Promotion in Geschichte und ein Volontariat beim Schulbuchverlag Oldenbourg. Kurz nach der Wende der Beginn einer journalistischen Karriere beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) und Norddeutschen Rundfunk (NDR). Dort leitete Frau Wildermuth unterschiedliche Redaktionen. Zuletzt arbeitete sie in der Programmdirektion des MDR. Seit knapp einem Jahr sei sie nun Intendantin des Bayerischen Rundfunks (BR). Damit übernehme sie dieses Amt in bewegten Zeiten, aber mit Blick auf die Vita, bekomme man den Eindruck, so Herr Bachmeier, das sei genau nach ihrem Geschmack. Der Präsident des Peutinger-Collegium e.V. übergibt das Wort an die Referentin.

Frau Wildermuth beginnt ihren Vortrag mit einer aktuellen Recherche des Jugend-Formats „Funk“ über das soziale Netzwerk „Telegram“. Es unterscheide sich gegenüber alternativen Dienstleistern vor allem in der Größe der Gruppen und damit der Anzahl der Menschen, die man in einem geschlossenen Raum erreichen könne. Hier gebe es täglich Tötungsaufrufe. Das schließe an die Frage des heutigen Abends an: Welche Rolle hat der ÖRR in diesen Zeiten von Digitalisierung und gesellschaftlicher Polarisierung? Frau Wildermuth startet die Suche nach einer Antwort mit der Beschreibung der aktuellen Medienlandschaft, die von sozialen Netzwerken wie „Telegram“ geprägt wird. Nach einer Digitalisierungswelle sei das Informationsmonopol herkömmlicher Medien verschwunden. Teilweise hätten einzelne Influencer eine größere Reichweite erreicht, als ganze Zeitungsverlage. Donald Trump sei im politischen Bereich ein gutes Beispiel: Er hätte mit seinen Tweets an den Medien vorbei regiert.

Zu Beginn dieser Entwicklung sei es die Hoffnung gewesen, die weltweite digitale Kommunikation wäre eine Chance für den demokratischen Diskurs. Sie könne, so die Erwartungshaltung, über größere Vielfalt zu einer Polyperspektivität führen. Leider habe sich gezeigt, die weltweite Vernetzung führe nicht zu einer Horizonterweiterung, sondern zu einer Horizontverengung. Die Entstehung von Echokammern sei gefördert worden. Bei dieser Art des medialen Konsums gehe es in erster Linie um Bedürfnisbefriedigung, Information sei zweitrangig. Die Algorithmen würden keine Polyperspektiven befeuern, sondern ein „more of the same“. Die Logik “Du solltest dir auch die andere Seite dazu anhören”, gerate ins Hintertreffen. Hochwertiger Journalismus sei deshalb notwendiger denn je.

Frau Wildermuth stellt die These auf, die digitale Öffentlichkeit sei im Kern überfordert mit einer ungefilterten Masse an Inhalten. Dafür brauche es Ethos. Zentral dabei seien unter anderem Unabhängigkeit der Berichterstattung und eine saubere Trennung von Inhalt und Werbung, von Information und Meinung. Der BR wolle dabei gleichzeitig die Vielfalt im Diskurs abbilden. Dabei müsse man als Brücke zwischen gegensätzlichen Positionen fungieren und auch dazu beitragen, dass sich Menschen wahr- und ernstgenommen fühlen. Diversität sei die Grundlage dafür. Denn nur eine plurale Belegschaft könne glaubwürdig polyperspektivisch Programm machen. Stereotypen, beispielsweise aus fiktionalem Erzählen, gilt es, zu hinterfragen. Diesem Meinungspluralismus stünde seriöser Journalismus mit fundierten Recherchen und professioneller Quellenkritik gegenüber. Voraussetzung dafür sei, Fakten nicht als „meine Meinung“ zu deklarieren und sich auf ein gemeinsames Verständnis von Wirklichkeit und unumstößlichen Tatsachen zu einigen.

Diese gesellschaftliche Vermittlerrolle belegt Frau Wildermuth mit den Akzeptanzwerten des BR. Demnach würden 82 % der Befragten die Angebote des ÖRR für unverzichtbar halten und sich verlässlich informiert fühlen. Der Wert für andere Medien und Plattformen sei bei Facebook mit 7 % und bei der Boulevardpresse mit 11 % ungleich niedriger. Doch darauf wolle man sich nicht ausruhen, denn es werde immer schwieriger, die ganze Bevölkerung zu erreichen. Einer der maßgeblichen Gründe dafür sei die veränderte Mediennutzung. Bei den unter 30-Jährigen würden bereits 78 % der Bewegtbildnutzung auf die Nutzung non-linearer Inhalte entfallen. Dazu komme die Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Der Anspruch der Zuschauer sei nicht mehr ein Programm für möglichst viele, sondern ein Programm, das auf jeden Teil der Gesellschaft speziell zugeschnitten ist. Dazu gehöre auch die Konfektionalisierung für den jeweiligen Ausspielweg, seien es soziale Netzwerke, die ARD Audiothek oder Smart TVs. Aktuelle Nutzungszahlen der „Tagesschau“ auf verschiedenen Plattformen würden diesen Kurs bestätigen. Die Tagesschau im linearen Fernsehen habe ein durchschnittliches Alter der Zuschauerinnen und Zuschauer von 63 Jahren. Die Nutzerinnen und Nutzer der Tagesschau-App seien im Durchschnittsalter hingegen 42 Jahre alt, auf YouTube 33 Jahre und auf „Tik Tok“ schließlich nur 26 Jahre. Auch der BR habe Antworten auf die neuen Verbreitungswege gefunden. Dazu gehöre unter anderem die „News-WG, ein vielfach preisgekröntes Angebot auf Instagram, wo junge Menschen aktuelle und politische Sachverhalte diskutieren. Oder der „Faktenfuchs“, ein Social Media Format, das griffig und fundiert mit Fake News und Verschwörungstheorien aufräume. „Klassik Shorts“ biete mit pointierten Kurzvideos einen niederschwelligen Zugang zur Welt der Großen Symphonik. Um weiterhin die gesamte Gesellschaft zu erreichen, spricht sich Frau Wildermuth deshalb auch gegen eine Verengung des Auftrags auf Information, Bildung und Kultur aus. Denn auch Sport und Unterhaltung seien Teil des Lebens und für die Vermittlung von Werten sowie für die Identifikation in der Gesellschaft unverzichtbar.

Teil dieses gesamtgesellschaftlichen Kontakts sei deshalb auch die regionale Komponente, auf die der BR in den letzten Jahren noch stärker gesetzt habe. Mit Studios an mittlerweile 30 Standorten sei man innerhalb einer Stunde von allen Orten live-sendefähig. Die crossmedialen Korrespondenten des BR kämen zumeist selbst aus der Region und würden die Themen vor Ort deshalb sehr gut kennen. Regionale Kompetenz sei die DNA der ARD. Sie sei eine entscheidende Differenzierung, sowohl gegenüber anderen ÖRR -Medienhäusern wie BBC und France Television, aber auch neuen digitalen Anbietern wie Netflix und Amazon. Beim BR gehe diese regionale Kompetenz über den Journalismus hinaus. Sie spiegele sich auch in Heimatformaten, Musiksendungen und Serien wider.

Frau Wildermuth kommt mit dem veränderten Nutzungsverhalten der Zuschauer auf einen Aspekt der digitalen Medienwelt zu sprechen. Der ÖRR würde darauf mit Projekten reagieren, in denen Wissen auf Basis fundierter wissenschaftlicher Arbeit neu aufbereitet wird. Ein Beispiel sei das durch BR und SWR entwickelte Instagram-Format „Ich bin Sophie Scholl“. Das speziell für jüngere Zuschauer konzipierte Projekt sei äußerst erfolgreich, es erreiche fast eine Millionen Abonnenten und sei preisgekrönt. Gleichzeitig schlage sich eine derart aufwendige Produktion auch auf das Budget nieder, das in diesem Fall höher sei als bei einer Tatort-Produktion. Hier zeige sich bereits die Herausforderung der nächsten Jahre: Wie kann das Prinzip „Programme für Viele“ umgesetzt werden, wenn die digitale Transformation aus dem Bestand finanziert werden soll? Denn das sei die Erwartungshaltung der Politik. Neben Sparmaßnahmen sei das nicht ohne Priorisierung zu machen. Und das wiederum führe unweigerlich dazu, dass sich Zuschauer vor den Kopf gestoßen fühlen.

In Zeiten des medialen Wandels sei die Vermittlung von Medienkompetenz entscheidend. Es gehe darum, Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Smartphones und deren Inhalte nicht nur zu bedienen, sondern auch beurteilen zu können. Deshalb müssten die Fähigkeiten der Menschen gestärkt werden, die Machart von Medien und das Zustandekommen von Newsfeeds zu verstehen, Fake News und Filterblasen zu durchschauen und sich kritisch mit Algorithmen und der eigenen Meinungsbildung auseinanderzusetzen. Der BR habe sich als Initiator des ARD und ZDF-Angebotes "so geht MEDIEN“ in diesem Bereich engagiert. Das Format habe vor allem Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren angesprochen und sowohl Einblicke hinter die Kulissen der Medienwelt, aber auch Bezüge zur eigenen Lebenswirklichkeit geschaffen.

Abschließend zitierte Frau Wildermuth die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Rolle des ÖRR. Demnach sei es die Aufgabe des ÖRR, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltssicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden, gerade in Zeiten vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits.

Frau Wildermuth bedankte sich für die Aufmerksamkeit und übergab das Wort an Herrn Bachmeier, der die anschließende Diskussionsrunde moderierte.

 

Diskussionsrunde:

Frage: Wie können Fakten verifiziert werden?

Frau Wildermuth: Das wird zunehmend schwieriger, da auch die digitalen Fälschungen immer ausgefeilter werden. Zudem lehnen die meisten Tech-Konzerne, die hinter den sozialen Netzwerken stehen, die Verantwortung für die dort kursierenden Inhalte ab. Es braucht daher eine große Kompetenz von Quellenkritik. Gleichzeitig wird es zu einer Herausforderung für den demokratischen Diskurs, wenn jede Auseinandersetzung mit Fakten zu einer Meinungsfrage wird. In den Filterblasen, die durch die Algorithmen der sozialen Netzwerke entstehen, wird der Rezipient dann in der eigenen Meinung bestärkt. Der Auftrag des ÖRR ist deshalb Horizonterweiterung. In Zusammenarbeit mit der europäischen European Broadcast Union entsteht genau zu diesem Zweck deshalb auch ein „Public Value“ Algorithmus, der ein polyperspektivisches Nutzererlebnis auf den Plattformen ermöglichen soll.

Frage: Gibt es in 20 Jahren noch einen ÖRR?

Frau Wildermuth: Die Frage ist nicht ob, sondern wie. Podcasts zeigen, dass die Nachfrage nach den Kernkompetenzen des ÖRR auch bei der jüngeren Zielgruppe da ist. Darüber hinaus kann der ÖRR in Zeiten der Polarisierung eine einende Rolle spielen. Das ist etwas, wofür wir im Ausland beneidet werden.

Frage: Welche Rolle spielen die Quoten?

Frau Wildermuth: Quoten haben die Macht, die wir ihnen geben. Mit dem Aufkommen des privaten Rundfunks konnte man sich über die Quoten auf eine gemeinsame „Währung“ einigen. Aktuelle Umfragen zeigen aber auch: Wertschätzung gegenüber Medien lässt sich nicht nur darüber bemessen. Dennoch ist klar, dass die Inhalte des ÖRR immer ein gewisses Publikum erreichen müssen. Wir dürfen nicht in die Nische! Das lässt sich nicht mit unserem Auftrag vereinen.

Frage: Gibt es vergleichbare Staaten, die sich zwei ÖRR-Sender leisten?

Frau Wildermuth: Im Sinne des Meinungspluralismus ist es sicherlich eine gute Investition. Mit diesen beiden Sendern bilden wir diese Vielfalt ab, auch regional. Gleichzeitig gibt es viele Kooperationen. Ein gutes Beispiel sind die nahenden Olympischen Winterspiele in Peking. ARD und ZDF haben dafür ein gemeinsames Sendezentrum in Mainz. Dazu kommen verschränkte Angebote im Netz.

Frage: Müssen wir an den Schulen Medienkompetenz lehren?

Frau Wildermuth: Wir müssen Medienkompetenz schulen, aber das würde ich nicht auf die Kinder beschränken, dazu gehören auch die Erwachsenen. Quellenkritik ist hier das Stichwort. Gleichzeitig müssen wir bei den ÖRR unsere Redaktionsstuben weit öffnen und einen Einblick in die Entstehung der Inhalte geben.

Frage: Welche Möglichkeiten gibt es, um der Spaltung entgegenzuwirken?

Frau Wildermuth: Raus aus den Filterblasen, rein in den Diskurs! Dafür brauchen wir Räume und Formate. Dazu gehört auch eine klare Trennung zwischen Meinung und Fakten.

Frage: Gibt es politische Einflussnahme über die Gremien des ÖRR?

Frau Wildermuth: Nein. Die Gremien nehmen zum Programm immer „ex post“ Stellung, wenn also bereits gesendet wurde. Zudem sind die Gremien unterschiedlich aufgeteilt. Der aus sieben Fachleuten bestehende Verwaltungsrat ist unter anderem für die Überwachung der Finanzen zuständig. Die Wahl des Intendanten übernimmt der Rundfunkrat. Das 50-köpfige Gremium vertritt die gesamte Gesellschaft. Hier sitzen unter anderem Vertreter aus dem Handwerk, aus den Verbänden und aus den parlamentarischen Fraktionen.

Frage: Was sagen Sie zu den Vorwürfen, Unternehmer würden in den fiktionalen ÖRR -Formaten gerne aufs Korn genommen und auch die Wirtschaftsberichterstattung sei oftmals tendenziell negativ?

Frau Wildermuth: Da gibt es viele Gegenbeispiele! Der ÖRR hat tolle Filme über das Unternehmertum produziert, beispielsweise über Aenne Burda, die Unternehmensgeschichte von Puma und Adidas oder über die Gebrüder Albrecht. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch Beispiele von Krimis, in denen das Bild des „bösen Kapitalisten“ benutzt wird. Hier gilt es, wie bereits eingangs erwähnt, Stereotype immer wieder zu hinterfragen. Auch bei der Wirtschaftsberichterstattung würde ich Einspruch erheben. Sie hat sich im ÖRR in den letzten Jahren zunehmend ausdifferenziert.

Frage: Wie ist die Sozialstruktur in Ihrer Belegschaft?

Frau Wildermuth: Die Fluktuation beim ÖRR ist gering. Deshalb arbeiten wir daran, Vielfalt in der Belegschaft zu erhöhen. Dazu gehören beispielsweise Initiativen wie unser Diversity Beirat. Nun gilt es, diese Initiativen auch zu leben. Vielfalt ist kein Hindernis, sondern eine Bereicherung. Und für die Unvoreingenommenheit des Programmes ist sie essenziell. Mit gezielter Personalentwicklung wollen wir nun unter anderem mehr Frauen in Führungspositionen bringen.

Frage: In Italien scheinen sich ÖRR und private Sender zunehmend anzunähern. Dieser Eindruck drängt sich auch in Deutschland auf.

Frau Wildermuth: Ich sehe keinerlei Annäherung von Seiten des ÖRR. Dass sich aber die privaten Sender in Deutschland zunehmend auch um Journalismus bemühen, tut unserer Demokratie gut.

Die Veranstaltung schloss mit einem Dank von Herrn Bachmeier an Frau Wildermuth und einem kurzen Ausblick auf die kommenden Veranstaltungen.

 


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