Nachlese

zu einem Vortrag von

Gábor Tordai-Lejkó
Generalkonsul von Ungarn

"Ungarns Beziehungen zu Bayern, Deutschland und der EU – aktuelle Herausforderungen"

Online Vortrag am Donnerstag, 25.03.2021


Vorstellung des Referenten – Herr Gábor Tordai-Lejkó wurde in Budapest geboren und hat sein Abitur am deutschen Gymnasium im bayerischen Bad Kastel absolviert. Anschließend studierte er Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften in Regensburg und an der Sorbonne. Als politischer Berater für die Europäische Volkspartei (EVP) hat er viele Jahre am Europäischen Parlament in Brüssel gearbeitet und war dort unter anderem im Ausschuss für Umwelt, Lebensmittel, Sicherheit und Gesundheit tätig. Seit dem Jahr 2015 ist er Generalkonsul von Ungarn in Bayern.

Eingangsbetrachtungen – Der Generalkonsul pflegt eine langjährige Beziehung zu Bayern, nicht nur aufgrund seiner Vita, die eng mit dem Bundesland verbunden ist. Außerdem kennt er sich durch seine berufliche Laufbahn exzellent auf dem europäischen Parkett aus. Diese Vorteile versuchte Tordai-Lejkó während des gesamten Vortrags zu verbinden. Er konzentrierte sich insbesondere auf fünf Kernthemen: Ungarns Geschichte, die Rolle Ungarns in der EU, Außenpolitik, die Corona-Politik und Ungarns derzeitige Wirtschaftslage.  

Ihm war besonders wichtig, einige Betrachtungen vorwegzustellen, die für den anschließenden Vortrag von großer Bedeutung sein werden. Er skizzierte in Ansätzen die (wirtschaftliche) Situation Ungarns vor dem Ausbruch der Pandemie in Bezug auf vier wichtige Aspekte:

  • Arbeitslosigkeit wurde von 11,3 % im Jahr 2010 auf unter 3,5 % im Jahr 2019 gesenkt.
  • Im selben Zeitraum wurde das Durchschnittsgehalt beinahe verdoppelt auf 403.000 Forint (umgerechnet 1100 Euro)
  • Das finanzielle Vermögen der Haushalte wuchs beinahe auf das Dreifache.
  • Die Arbeitslosenquote ist die viertniedrigste in der EU.

Ungarns Geschichte – Der Generalkonsul merkte zum Beginn seiner kurzen Fahrt durch die lange ungarische Geschichte an, dass es wichtig sei, die Eckpunkte zu kennen, um heutige Gedankengänge oder politische Entscheidungen nachvollziehen zu können.

Generell schaut das Land auf eine fast 1000-jährige Beziehung mit dem Bundesstaat Bayern zurück. Ursprünglich kommt das ungarische Volk aus Asien, genauer aus dem Ural-Gebirge an der Grenze zwischen Asien und Europa. Erst waren es Nomaden, die immer häufiger Streifzüge nach Westeuropa unternahmen. Um circa 1000 n.Chr. wurden sie sesshaft und widmeten sich verstärkt der Landwirtschaft. Außerdem ließ die Christianisierung nicht lange auf sich warten. Infolgedessen wurde ein christliches Königreich durch den ersten ungarischen König St. Stephan gegründet – und Europa wurde die Heimat dieses Reiches.

Im Mittelalter entwickelte sich das Königreich Ungarn zu einer regionalen Macht und erlebte seine Blütezeit im 15. Jahrhundert unter König Matthias. Hier entwickelte sich insbesondere die kulturelle, militärische und wirtschaftliche Stärke des Landes.

Im Jahr 1526 verlor Ungarn jedoch die Souveränität und wurde in den folgenden Jahrhunderten erst von Osmanen regiert, um dann Teil des Habsburger Reiches zu werden. Lange Zeit war das Verhältnis zwischen Herrschenden und Untertanen belastet und von Unterdrückung geprägt. Erst im Jahr 1867 fand ein Ausgleich statt: Es bildete sich der gleichberechtigte Staat Österreich-Ungarn. Darauf folgte wiederum eine Epoche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufschwungs.

Nach dem ersten Weltkrieg stand Österreich-Ungarn auf der Verliererseite und im Jahr 1920 verlor Ungarn dadurch rund Zweidrittel des Landesgebietes und der Bevölkerung. Seitdem ist das Staatsgebiet kleiner als der Freistaat Bayern und rund 2 Millionen Ungarn leben bis heute in Nachbarländern. Bereits nach dem zweiten Weltkrieg wurde Ungarn Teil des Ostblocks und damit abhängig von der Sowjetunion. Insbesondere bei der deutschen Wiedervereinigung nahm das Land eine besondere Rolle ein, denn Ungarn war der erste Staat, der Ostdeutsche ausreisen ließ. Zu diesem Anlass zitierte der Generalkonsul den Altkanzler Helmut Kohl: „Es war in Ungarn, wo der erste Stein aus der Mauer geschlagen wurde.“ Damit unterstrich Tordai-Lejkó nochmals die Bedeutung der ungarisch-deutschen Beziehungen und hob die mannigfaltigen Schnittstellen in der Vergangenheit hervor. Ein Bindeglied zwischen den beiden Ländern sei auch die deutsche Minderheit in Ungarn, betonte der Generalkonsul. Die letzte Volkszählung im Jahr 2011 ergab, dass rund 185.000 Ungarndeutsche auf dem Staatsgebiet leben. Diese haben eine breite politische Vertretung, wie selbstverwaltete Kommunen und einen Abgeordneten im ungarischen Parlament. Außerdem hat die Minderheit Einfluss auf Sprache und Kultur, denn es wird in Deutsch unterrichtet und es gibt eigene, staatlich finanzierte Medien, Festivals und ein Theater.

Die Rolle Ungarns in der EU – In der jüngeren Vergangenheit, im Jahr 2010, fand nach Angaben von Tordai-Lejkó ein Paradigmenwechsel in Ungarn statt. Es gab eine Umstellung von Hilfeleistungen hin zu einer auf Arbeit ausgerichteten Wirtschaft. Das Ergebnis war eine sinkende Arbeitslosigkeit, zunehmendes staatliches Vermögen und eine sinkende Staatsverschuldung. Der Generalkonsul beschrieb die Situation wie folgt: „Ungarn hat seine Souveränität [von der EU] wiedererlangt und folgt bei ideologischen Fragen einem klaren Kurs“, was ein überaus großer Erfolg sei. Gerade die Regierung unter Orban vertrete in politischen Fragen einen klaren Kurs, auch gegen die Standpunkte der Europäischen Union. Ziel sei es, der Homogenisierung der Mitgliedsstaaten entgegenzuwirken und die Errichtung eines Bündnisses aus freien Nationalstaaten voranzutreiben – der ursprüngliche Gedanke des Bündnisses. Gerade der fortlaufende zentralistische Prozess, Entscheidungen nach Brüssel zu verlagern, werde in Ungarn mit Sorge betrachtet, gab der Generalkonsul an. Ungarn erwarte vielmehr „die Aufrechterhaltung der jahrhundertealten europäischen Tradition kulturell unterschiedlicher, souveräner Staaten. Vor diesem Hintergrund betonte Tordai-Lejkó insbesondere den Austausch zu modernem Wissen und Technologie sowie die geopolitische Stabilität und Sicherheit des Landes, die in der Vergangenheit durch den Jugoslawienkrieg oder die Ukraine-Krise bedroht war.

An dieser Stelle unternahm der Generalkonsul einen Exkurs auf das ungarische Familienmodell. Voraussetzungen sollen geschaffen werden, um eine dauerhafte Trendwende in der demographischen Entwicklung einzuleiten. Dafür hat der Staat 4,6 % des BIP auf die Kinder- und Familienpolitik verwendet, mehr als andere europäische Staaten. Die demographischen Defizite sollen nicht durch Einwanderung kompensiert werden, sondern durch eine starke Familienpolitik im eigenen Land, gab der Generalkonsul an.

Ungarn erlebte in den vergangenen Jahren laut Tordai-Lejkó einige Benachteiligungen auf der europäischen Bühne. Das EU-Parlament hat unter anderem ein Rechtsstaatsverfahren nach Art. 7 gegen das Land eingeleitet, woraufhin Ungarn vor den EuGH getreten ist. Dieses Verfahren soll unter der deutschen Ratspräsidentschaft „endlich abgeschlossen werden“, mahnte der Generalkonsul. Nicht nur aus diesem Grund ist die ungarische Fidesz-Partei vor Kurzem aus der EVP ausgetreten. Tordai-Lejkó betonte auf Nachfrage, dass die Partei derzeit unterschiedliche Optionen auslote, wie es weitergehen könnte: Es werde über ein neues Bündnis nachgedacht, aber auch über den Beitritt zu bestehenden Bündnissen.

Die ungarische Außenpolitik – Rund um das Thema Außenpolitik nannte der Generalkonsul während seines Vortrages vier Kernfelder: USA, Russland, China und Israel.

Während der Obama-Administration war Ungarn „irritiert“ über die angestrebten Einmischungen der US-Regierung in die Innenpolitik des Landes. Aus Übersee kam vor allem Kritik an Gesetzesänderungen. Der Generalkonsul gab an, dass die Beziehungen zur Regierung unter Trump weitaus besser waren und er hoffe gleichzeitig, dass Präsident Biden diesen Kurs in Zukunft fortsetze. Gerade in der Energiepolitik seien die beiden Länder zusammengekommen und erst kürzlich wurde Gas aus den Vereinigten Staaten gekauft.

Zu Russland seien die Beziehungen weiterhin kompliziert, auch historisch bedingt. Ungarn steht in großer Abhängigkeit zur Russischen Föderation, da die Wirtschaft des Landes auf das russische Gas angewiesen sei. Tordai-Lejkó forderte während seines Vortrages von der EU, finanzierbare Lösungen zu finden, um unabhängiger zu werden. Das Land sei aber auch schon in Eigenregie dabei, Alternativlösungen zu finden, wie zum Beispiel den Aufbau eines eigenen Kraftwerks. Hierbei spielt Siemens eine tragende Rolle.

Ungarn setzt vor allem in den vergangenen Jahren auf eine starke Diversifizierung der ausländischen Investoren, wobei gerade asiatische Geldgeber eine große Rolle spielen. Das Land ist Teil des 17+1 Abkomme mit China und daraus resultieren wichtige Projekte, die von der EU nicht unterstützt werden. Der Generalkonsul nennt als Beispiel den Bau einer Schnellzugstrecke zwischen Budapest und Belgrad.

Außerdem unterhält das Land seit jeher exzellente Beziehungen zu Israel. Nach Paris ist Budapest die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Europa und umfasst nahezu eine Viertelmillion Menschen.

Ungarns Covid-Politik – Aktuell findet eine Konzentration auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie auf allen Ebenen des Landes statt. Ziel ist es, die Bevölkerung so schnell wie möglich zu impfen. Der Generalkonsul gab an, dass bereits 1,7 Millionen Menschen eine erste Impfung erhalten haben, was einer Impfquote von 17 % entspricht (zweiter Platz in der EU). Das Land zählt bis dato rund 600.000 Corona-Infektionen. Die Beschaffung des nötigen Impfstoffes – und darauf liegt die Priorität – wird über die EU abgewickelt. Außerdem wird innerhalb des rechtlichen Rahmens von anderen Staaten zusätzlicher Impfstoff gekauft. Tordai-Lejkó sagte dazu: „Der Schutz des menschlichen Lebens und die Gesundheit stehen über politischen Aspekten, ja auch über der Geopolitik.“

Ungarns Wirtschaftslage – Wie bereits angesprochen, klafft ein tiefer Spalt zwischen der wirtschaftlichen Lage Ungarns vor und nach dem Ausbruch der Pandemie. Der Generalkonsul betonte vor diesem Hintergrund, dass „es derzeit nicht das Ziel sei, die Wirtschaft auf den status quo zu bringen, sondern einen angepassten Wirtschaftsplan zu entwickeln.“ Dieser wird insgesamt sieben Stufen haben, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen wird.

Ungarns Außenhandel – Ungarn strebt eine Diversifizierung des Außenhandels an und insbesondere Exporte in Richtung Asien stehen verstärkt auf der Agenda. Trotzdem stehe Deutschland seit Jahren auf Platz 1 als Handelspartner für Ungarn. Deutsche Unternehmen haben oftmals Standorte in Ungarn und das Land nimmt 28 % aller ungarischen Exporte entgegen. Deshalb betonte der Generalkonsul vor allem die Investitionsförderungen des Landes, um das Geschäftsumfeld für ausländische Investoren noch attraktiver zu gestalten. Letztes wurden Investitionsförderprogramme mit einem Gesamtvolumen von rund 2,5 Milliarden Euro angekündigt, gab Tordai-Lejkó an. Gerade Bayern sei ein wichtiger Partner, da zwischen Ungarn und dem Freistaat ein Handelsvolumen von 16 Milliarden Euro fließe. Sechs von 16 strategischen Partnern kommen aus Bayern, unter anderem Audi und BMW.  

 

Das Präsidium bedankt sich bei allen Mitgliedern und Gästen für die Teilnahme und die anregende Diskussion. Wir hoffen, Sie auch zu unserem nächsten spannenden Vortrag begrüßen zu dürfen.

   

Freundliche Grüße

Dr. Andreas Bachmeier

Präsident des Peutinger-Collegium e.V.

 




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Gábor Tordai-Lejkó
Generalkonsul von Ungarn

"Ungarns Beziehungen zu Bayern, Deutschland und der EU – aktuelle Herausforderungen"

Online Vortrag am Donnerstag, 25.03.2021


Vorstellung des Referenten – Herr Gábor Tordai-Lejkó wurde in Budapest geboren und hat sein Abitur am deutschen Gymnasium im bayerischen Bad Kastel absolviert. Anschließend studierte er Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften in Regensburg und an der Sorbonne. Als politischer Berater für die Europäische Volkspartei (EVP) hat er viele Jahre am Europäischen Parlament in Brüssel gearbeitet und war dort unter anderem im Ausschuss für Umwelt, Lebensmittel, Sicherheit und Gesundheit tätig. Seit dem Jahr 2015 ist er Generalkonsul von Ungarn in Bayern.

Eingangsbetrachtungen – Der Generalkonsul pflegt eine langjährige Beziehung zu Bayern, nicht nur aufgrund seiner Vita, die eng mit dem Bundesland verbunden ist. Außerdem kennt er sich durch seine berufliche Laufbahn exzellent auf dem europäischen Parkett aus. Diese Vorteile versuchte Tordai-Lejkó während des gesamten Vortrags zu verbinden. Er konzentrierte sich insbesondere auf fünf Kernthemen: Ungarns Geschichte, die Rolle Ungarns in der EU, Außenpolitik, die Corona-Politik und Ungarns derzeitige Wirtschaftslage.  

Ihm war besonders wichtig, einige Betrachtungen vorwegzustellen, die für den anschließenden Vortrag von großer Bedeutung sein werden. Er skizzierte in Ansätzen die (wirtschaftliche) Situation Ungarns vor dem Ausbruch der Pandemie in Bezug auf vier wichtige Aspekte:

  • Arbeitslosigkeit wurde von 11,3 % im Jahr 2010 auf unter 3,5 % im Jahr 2019 gesenkt.
  • Im selben Zeitraum wurde das Durchschnittsgehalt beinahe verdoppelt auf 403.000 Forint (umgerechnet 1100 Euro)
  • Das finanzielle Vermögen der Haushalte wuchs beinahe auf das Dreifache.
  • Die Arbeitslosenquote ist die viertniedrigste in der EU.

Ungarns Geschichte – Der Generalkonsul merkte zum Beginn seiner kurzen Fahrt durch die lange ungarische Geschichte an, dass es wichtig sei, die Eckpunkte zu kennen, um heutige Gedankengänge oder politische Entscheidungen nachvollziehen zu können.

Generell schaut das Land auf eine fast 1000-jährige Beziehung mit dem Bundesstaat Bayern zurück. Ursprünglich kommt das ungarische Volk aus Asien, genauer aus dem Ural-Gebirge an der Grenze zwischen Asien und Europa. Erst waren es Nomaden, die immer häufiger Streifzüge nach Westeuropa unternahmen. Um circa 1000 n.Chr. wurden sie sesshaft und widmeten sich verstärkt der Landwirtschaft. Außerdem ließ die Christianisierung nicht lange auf sich warten. Infolgedessen wurde ein christliches Königreich durch den ersten ungarischen König St. Stephan gegründet – und Europa wurde die Heimat dieses Reiches.

Im Mittelalter entwickelte sich das Königreich Ungarn zu einer regionalen Macht und erlebte seine Blütezeit im 15. Jahrhundert unter König Matthias. Hier entwickelte sich insbesondere die kulturelle, militärische und wirtschaftliche Stärke des Landes.

Im Jahr 1526 verlor Ungarn jedoch die Souveränität und wurde in den folgenden Jahrhunderten erst von Osmanen regiert, um dann Teil des Habsburger Reiches zu werden. Lange Zeit war das Verhältnis zwischen Herrschenden und Untertanen belastet und von Unterdrückung geprägt. Erst im Jahr 1867 fand ein Ausgleich statt: Es bildete sich der gleichberechtigte Staat Österreich-Ungarn. Darauf folgte wiederum eine Epoche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufschwungs.

Nach dem ersten Weltkrieg stand Österreich-Ungarn auf der Verliererseite und im Jahr 1920 verlor Ungarn dadurch rund Zweidrittel des Landesgebietes und der Bevölkerung. Seitdem ist das Staatsgebiet kleiner als der Freistaat Bayern und rund 2 Millionen Ungarn leben bis heute in Nachbarländern. Bereits nach dem zweiten Weltkrieg wurde Ungarn Teil des Ostblocks und damit abhängig von der Sowjetunion. Insbesondere bei der deutschen Wiedervereinigung nahm das Land eine besondere Rolle ein, denn Ungarn war der erste Staat, der Ostdeutsche ausreisen ließ. Zu diesem Anlass zitierte der Generalkonsul den Altkanzler Helmut Kohl: „Es war in Ungarn, wo der erste Stein aus der Mauer geschlagen wurde.“ Damit unterstrich Tordai-Lejkó nochmals die Bedeutung der ungarisch-deutschen Beziehungen und hob die mannigfaltigen Schnittstellen in der Vergangenheit hervor. Ein Bindeglied zwischen den beiden Ländern sei auch die deutsche Minderheit in Ungarn, betonte der Generalkonsul. Die letzte Volkszählung im Jahr 2011 ergab, dass rund 185.000 Ungarndeutsche auf dem Staatsgebiet leben. Diese haben eine breite politische Vertretung, wie selbstverwaltete Kommunen und einen Abgeordneten im ungarischen Parlament. Außerdem hat die Minderheit Einfluss auf Sprache und Kultur, denn es wird in Deutsch unterrichtet und es gibt eigene, staatlich finanzierte Medien, Festivals und ein Theater.

Die Rolle Ungarns in der EU – In der jüngeren Vergangenheit, im Jahr 2010, fand nach Angaben von Tordai-Lejkó ein Paradigmenwechsel in Ungarn statt. Es gab eine Umstellung von Hilfeleistungen hin zu einer auf Arbeit ausgerichteten Wirtschaft. Das Ergebnis war eine sinkende Arbeitslosigkeit, zunehmendes staatliches Vermögen und eine sinkende Staatsverschuldung. Der Generalkonsul beschrieb die Situation wie folgt: „Ungarn hat seine Souveränität [von der EU] wiedererlangt und folgt bei ideologischen Fragen einem klaren Kurs“, was ein überaus großer Erfolg sei. Gerade die Regierung unter Orban vertrete in politischen Fragen einen klaren Kurs, auch gegen die Standpunkte der Europäischen Union. Ziel sei es, der Homogenisierung der Mitgliedsstaaten entgegenzuwirken und die Errichtung eines Bündnisses aus freien Nationalstaaten voranzutreiben – der ursprüngliche Gedanke des Bündnisses. Gerade der fortlaufende zentralistische Prozess, Entscheidungen nach Brüssel zu verlagern, werde in Ungarn mit Sorge betrachtet, gab der Generalkonsul an. Ungarn erwarte vielmehr „die Aufrechterhaltung der jahrhundertealten europäischen Tradition kulturell unterschiedlicher, souveräner Staaten. Vor diesem Hintergrund betonte Tordai-Lejkó insbesondere den Austausch zu modernem Wissen und Technologie sowie die geopolitische Stabilität und Sicherheit des Landes, die in der Vergangenheit durch den Jugoslawienkrieg oder die Ukraine-Krise bedroht war.

An dieser Stelle unternahm der Generalkonsul einen Exkurs auf das ungarische Familienmodell. Voraussetzungen sollen geschaffen werden, um eine dauerhafte Trendwende in der demographischen Entwicklung einzuleiten. Dafür hat der Staat 4,6 % des BIP auf die Kinder- und Familienpolitik verwendet, mehr als andere europäische Staaten. Die demographischen Defizite sollen nicht durch Einwanderung kompensiert werden, sondern durch eine starke Familienpolitik im eigenen Land, gab der Generalkonsul an.

Ungarn erlebte in den vergangenen Jahren laut Tordai-Lejkó einige Benachteiligungen auf der europäischen Bühne. Das EU-Parlament hat unter anderem ein Rechtsstaatsverfahren nach Art. 7 gegen das Land eingeleitet, woraufhin Ungarn vor den EuGH getreten ist. Dieses Verfahren soll unter der deutschen Ratspräsidentschaft „endlich abgeschlossen werden“, mahnte der Generalkonsul. Nicht nur aus diesem Grund ist die ungarische Fidesz-Partei vor Kurzem aus der EVP ausgetreten. Tordai-Lejkó betonte auf Nachfrage, dass die Partei derzeit unterschiedliche Optionen auslote, wie es weitergehen könnte: Es werde über ein neues Bündnis nachgedacht, aber auch über den Beitritt zu bestehenden Bündnissen.

Die ungarische Außenpolitik – Rund um das Thema Außenpolitik nannte der Generalkonsul während seines Vortrages vier Kernfelder: USA, Russland, China und Israel.

Während der Obama-Administration war Ungarn „irritiert“ über die angestrebten Einmischungen der US-Regierung in die Innenpolitik des Landes. Aus Übersee kam vor allem Kritik an Gesetzesänderungen. Der Generalkonsul gab an, dass die Beziehungen zur Regierung unter Trump weitaus besser waren und er hoffe gleichzeitig, dass Präsident Biden diesen Kurs in Zukunft fortsetze. Gerade in der Energiepolitik seien die beiden Länder zusammengekommen und erst kürzlich wurde Gas aus den Vereinigten Staaten gekauft.

Zu Russland seien die Beziehungen weiterhin kompliziert, auch historisch bedingt. Ungarn steht in großer Abhängigkeit zur Russischen Föderation, da die Wirtschaft des Landes auf das russische Gas angewiesen sei. Tordai-Lejkó forderte während seines Vortrages von der EU, finanzierbare Lösungen zu finden, um unabhängiger zu werden. Das Land sei aber auch schon in Eigenregie dabei, Alternativlösungen zu finden, wie zum Beispiel den Aufbau eines eigenen Kraftwerks. Hierbei spielt Siemens eine tragende Rolle.

Ungarn setzt vor allem in den vergangenen Jahren auf eine starke Diversifizierung der ausländischen Investoren, wobei gerade asiatische Geldgeber eine große Rolle spielen. Das Land ist Teil des 17+1 Abkomme mit China und daraus resultieren wichtige Projekte, die von der EU nicht unterstützt werden. Der Generalkonsul nennt als Beispiel den Bau einer Schnellzugstrecke zwischen Budapest und Belgrad.

Außerdem unterhält das Land seit jeher exzellente Beziehungen zu Israel. Nach Paris ist Budapest die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Europa und umfasst nahezu eine Viertelmillion Menschen.

Ungarns Covid-Politik – Aktuell findet eine Konzentration auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie auf allen Ebenen des Landes statt. Ziel ist es, die Bevölkerung so schnell wie möglich zu impfen. Der Generalkonsul gab an, dass bereits 1,7 Millionen Menschen eine erste Impfung erhalten haben, was einer Impfquote von 17 % entspricht (zweiter Platz in der EU). Das Land zählt bis dato rund 600.000 Corona-Infektionen. Die Beschaffung des nötigen Impfstoffes – und darauf liegt die Priorität – wird über die EU abgewickelt. Außerdem wird innerhalb des rechtlichen Rahmens von anderen Staaten zusätzlicher Impfstoff gekauft. Tordai-Lejkó sagte dazu: „Der Schutz des menschlichen Lebens und die Gesundheit stehen über politischen Aspekten, ja auch über der Geopolitik.“

Ungarns Wirtschaftslage – Wie bereits angesprochen, klafft ein tiefer Spalt zwischen der wirtschaftlichen Lage Ungarns vor und nach dem Ausbruch der Pandemie. Der Generalkonsul betonte vor diesem Hintergrund, dass „es derzeit nicht das Ziel sei, die Wirtschaft auf den status quo zu bringen, sondern einen angepassten Wirtschaftsplan zu entwickeln.“ Dieser wird insgesamt sieben Stufen haben, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen wird.

Ungarns Außenhandel – Ungarn strebt eine Diversifizierung des Außenhandels an und insbesondere Exporte in Richtung Asien stehen verstärkt auf der Agenda. Trotzdem stehe Deutschland seit Jahren auf Platz 1 als Handelspartner für Ungarn. Deutsche Unternehmen haben oftmals Standorte in Ungarn und das Land nimmt 28 % aller ungarischen Exporte entgegen. Deshalb betonte der Generalkonsul vor allem die Investitionsförderungen des Landes, um das Geschäftsumfeld für ausländische Investoren noch attraktiver zu gestalten. Letztes wurden Investitionsförderprogramme mit einem Gesamtvolumen von rund 2,5 Milliarden Euro angekündigt, gab Tordai-Lejkó an. Gerade Bayern sei ein wichtiger Partner, da zwischen Ungarn und dem Freistaat ein Handelsvolumen von 16 Milliarden Euro fließe. Sechs von 16 strategischen Partnern kommen aus Bayern, unter anderem Audi und BMW.  

 

Das Präsidium bedankt sich bei allen Mitgliedern und Gästen für die Teilnahme und die anregende Diskussion. Wir hoffen, Sie auch zu unserem nächsten spannenden Vortrag begrüßen zu dürfen.

   

Freundliche Grüße

Dr. Andreas Bachmeier

Präsident des Peutinger-Collegium e.V.

 


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