Nachlese

Günther H. Oettinger, ehemaliger EU-Kommissar und Ministerpräsident a.D.

Vortrag zum Thema: „Europa 2030 – die Herausforderungen und Deutschlands Verantwortung“

Dienstag, 15. September 2020, The WESTIN GRAND München

 

Das Peutinger-Collegium lud am Dienstag, 15. September, zum Vortrag von Günther H. Oettinger, ehemaliger EU-Kommissar und Ministerpräsident a.D., ein. Die Veranstaltung fand diesmal im The WESTIN GRAND München statt. Dieses übernahm diesmal auch das Sponsoring für die Veranstaltung. Aufgrund der aktuell geltenden Corona-Maßnahmen wurde auch wieder ein digitaler Zugang zur Veranstaltung über Zoom ermöglicht.

Dr. Peter Lutz übernahm stellvertretend für Christian Geissler die Anmoderation des Gastredners. Günther H. Oettinger war wohl Brüssels berühmtester Schwabe. Insgesamt war er 40 Jahre im aktiven politischen Dienst, davon 10 Jahre in der EU-Kommission. Lutz hob dabei auch die Akribie von Oettinger hervor, die sein politisches Handeln bestimmte. Zudem sei Oettinger auch durch seine legendären Hintergrundgespräche geschätzt worden. Dieses ist gerade auch im Hinblick auf Nord Stream 2, Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Russlands Präsident Putin ein aktuelles Thema. Im weiteren Verlauf übernahm Dr. Lutz auch die Moderation der Fragerunde.

Wer sind die Gewinner und Verlierer in Zeiten von Corona?

„Hinsichtlich der durch Corona hervorgerufenen Opferzahlen und schwer erkrankten Personen kann man dankbar sein, dass man in Deutschland lebt“, so Günther H. Oettinger zu Beginn seines Vortrages. In der Coronakrise habe Deutschland sich als guter Partner bewiesen, während Autokraten anderswo das Leben vieler Menschen fahrlässig aufs Spiel gesetzt haben. Oettinger sieht Deutschland aber dennoch als einen der Verlierer der Coronakrise und nennt als Beispiel den Einzelhandel: „Textilhändler in den deutschen Innenstädten stehen vor der Insolvenz, während Amazon immer mehr Logistikzentren baut.“ Die Herausforderungen vor denen Deutschland nun steht, können daher nur durch ein klares Bekenntnis als Industriestandort gemeistert werden. Auch die Jugend müsse motiviert werden.

Der Wettbewerbsvorteil wird aufgezerrt

Oettinger mahnt zudem an, dass es mehr Investitionen und Kooperation unter den EU-Staaten bräuchte. Als Beispiel nannte er den Technologiefortschritt Chinas und der USA im Bereich der Smartphones. Früher hätte es da zum Beispiel noch Siemens oder auch Bosch als Anbieter von Mobiltelefonen gegeben. Waren es in den 1990ern noch Europa und die USA, so bestimmt heute China das 21. Jahrhundert. „Nur als vereintes Europa haben wir eine Chance im neuen Jahrhundert. Dafür braucht es Forschung, Entwicklung und Bildung“, so Oettinger. Die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit ist dringend notwendig, da die Demokratie sonst zu einem Auslaufmodell wird.

Diskussion

Nach dem Vortrag hatten die Zuhörer die Möglichkeit, ihre Fragen an Günther H. Oettinger zu richten.

Herr Oettinger, Sie haben Frau von der Leyen erwähnt und es geht jetzt im Sinne eines Assessments um zukunftsweisende Entscheidungen, die sie getroffen hat. Was ist bisher geschehen und was ist noch im Fluss? Was hat sie für uns getan?

Frau von der Leyen ist eine brillante Frau. Nach meinem Dafürhalten hat sie nur immer in der Politik an dem Tresen gestanden, wo man Geld abhebt und ist nie dagewesen, wo man Geld einsammelt. Im Bezug auf den Klimaschutz: Europa ist nur für 8,5% der weltweiten Treibhausgase verantwortlich. Nach 30 Jahren europäische Union haben wir ein Minus von 26% der produzierten Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990 erreicht. Frau von der Leyen möchte aber ein Minus von 55% erreichen, ohne dabei die Folgen abzuschätzen. Mit dieser Reduktionsstrategie laufen wir Gefahr unsere Industrie kaputt zu machen.

Was wäre aus Ihrer Sicht das Rezept für die 27 EU-Mitgliedsstaaten damit sie sichtbar an einem Strang ziehen und mit gleichen Werten voranmarschieren?

Europa ist der einzige Kontinent, der seit 1956 in der Form kooperiert. Der Binnenmarkt funktioniert. Das Glas ist mindestens halb voll, aber es muss weiter daran gearbeitet werden, zum Beispiel durch Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außenpolitik, der Abschaffung von Steuer-Dumping und durch mehr Einheit in Innovation und Forschung.

Ich bin Physikprofessor in Regensburg. In meinem Labor war für ein Jahr eine Assistenzprofessorin aus China beschäftigt und das war für meine Kollegen und mich sehr spannend. Wir befinden uns innerhalb der Forschung immer in einem internationalen Wettbewerb, aber: Auch unsere Jugend ist intelligent und hat Potenzial. Zudem kann auch unter der Beachtung von Umweltaspekten gut gewirtschaftet werden.

Die Wucht der Größe muss begriffen werden. Es gibt mehr ausgebildete Wissenschaftler durch die schiere Größe Chinas. Es benötigt deshalb eine große Kooperation der führenden Universitäten Europas auf Forschungsebene. Wir können Maßstäbe als Europäer setzen.

Auf der Metaebene haben wir keine Erkenntnisprobleme. Was wir nicht haben, ist die Anbindung an einen Großteil der Bevölkerung. Ich sehe große Probleme, wenn wir diese nicht mitnehmen können. Wir entscheiden über ihre Köpfe hinweg. Wo sind die Visionen und Ziele, die junge Menschen begeistern könnten?

Vision 1: Man muss eine solidarische Gemeinschaft schaffen, die sich weniger auf das Geld als vielmehr auf die Gemeinschaft beruft.

Vision 2: Förderung des sozialen Einsatzes im Ehrenamt

Vision 3: die dauerhafte Friedenssicherung, zum Beispiel durch Diplomatie.

Vision 4: mehr Achtung für die Forschung

Sie sagten, Herr Ministerpräsident Söder würde mehr Flüchtlinge aufnehmen als Sie es für richtig hielten. Welche Größenordnung halten Sie denn für richtig?

Afrika darf uns nicht egal sein. Wir müssen uns als Partner zeigen und den Menschen dort eine Perspektive geben. Eine Aufnahmequote wird aber nicht kommen. EU-Mitgliedsstaaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen, sollten stattdessen zahlen müssen oder die Frontex unterstützen.

 

 




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Nachlese

Günther H. Oettinger, ehemaliger EU-Kommissar und Ministerpräsident a.D.

Vortrag zum Thema: „Europa 2030 – die Herausforderungen und Deutschlands Verantwortung“

Dienstag, 15. September 2020, The WESTIN GRAND München

 

Das Peutinger-Collegium lud am Dienstag, 15. September, zum Vortrag von Günther H. Oettinger, ehemaliger EU-Kommissar und Ministerpräsident a.D., ein. Die Veranstaltung fand diesmal im The WESTIN GRAND München statt. Dieses übernahm diesmal auch das Sponsoring für die Veranstaltung. Aufgrund der aktuell geltenden Corona-Maßnahmen wurde auch wieder ein digitaler Zugang zur Veranstaltung über Zoom ermöglicht.

Dr. Peter Lutz übernahm stellvertretend für Christian Geissler die Anmoderation des Gastredners. Günther H. Oettinger war wohl Brüssels berühmtester Schwabe. Insgesamt war er 40 Jahre im aktiven politischen Dienst, davon 10 Jahre in der EU-Kommission. Lutz hob dabei auch die Akribie von Oettinger hervor, die sein politisches Handeln bestimmte. Zudem sei Oettinger auch durch seine legendären Hintergrundgespräche geschätzt worden. Dieses ist gerade auch im Hinblick auf Nord Stream 2, Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Russlands Präsident Putin ein aktuelles Thema. Im weiteren Verlauf übernahm Dr. Lutz auch die Moderation der Fragerunde.

Wer sind die Gewinner und Verlierer in Zeiten von Corona?

„Hinsichtlich der durch Corona hervorgerufenen Opferzahlen und schwer erkrankten Personen kann man dankbar sein, dass man in Deutschland lebt“, so Günther H. Oettinger zu Beginn seines Vortrages. In der Coronakrise habe Deutschland sich als guter Partner bewiesen, während Autokraten anderswo das Leben vieler Menschen fahrlässig aufs Spiel gesetzt haben. Oettinger sieht Deutschland aber dennoch als einen der Verlierer der Coronakrise und nennt als Beispiel den Einzelhandel: „Textilhändler in den deutschen Innenstädten stehen vor der Insolvenz, während Amazon immer mehr Logistikzentren baut.“ Die Herausforderungen vor denen Deutschland nun steht, können daher nur durch ein klares Bekenntnis als Industriestandort gemeistert werden. Auch die Jugend müsse motiviert werden.

Der Wettbewerbsvorteil wird aufgezerrt

Oettinger mahnt zudem an, dass es mehr Investitionen und Kooperation unter den EU-Staaten bräuchte. Als Beispiel nannte er den Technologiefortschritt Chinas und der USA im Bereich der Smartphones. Früher hätte es da zum Beispiel noch Siemens oder auch Bosch als Anbieter von Mobiltelefonen gegeben. Waren es in den 1990ern noch Europa und die USA, so bestimmt heute China das 21. Jahrhundert. „Nur als vereintes Europa haben wir eine Chance im neuen Jahrhundert. Dafür braucht es Forschung, Entwicklung und Bildung“, so Oettinger. Die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit ist dringend notwendig, da die Demokratie sonst zu einem Auslaufmodell wird.

Diskussion

Nach dem Vortrag hatten die Zuhörer die Möglichkeit, ihre Fragen an Günther H. Oettinger zu richten.

Herr Oettinger, Sie haben Frau von der Leyen erwähnt und es geht jetzt im Sinne eines Assessments um zukunftsweisende Entscheidungen, die sie getroffen hat. Was ist bisher geschehen und was ist noch im Fluss? Was hat sie für uns getan?

Frau von der Leyen ist eine brillante Frau. Nach meinem Dafürhalten hat sie nur immer in der Politik an dem Tresen gestanden, wo man Geld abhebt und ist nie dagewesen, wo man Geld einsammelt. Im Bezug auf den Klimaschutz: Europa ist nur für 8,5% der weltweiten Treibhausgase verantwortlich. Nach 30 Jahren europäische Union haben wir ein Minus von 26% der produzierten Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990 erreicht. Frau von der Leyen möchte aber ein Minus von 55% erreichen, ohne dabei die Folgen abzuschätzen. Mit dieser Reduktionsstrategie laufen wir Gefahr unsere Industrie kaputt zu machen.

Was wäre aus Ihrer Sicht das Rezept für die 27 EU-Mitgliedsstaaten damit sie sichtbar an einem Strang ziehen und mit gleichen Werten voranmarschieren?

Europa ist der einzige Kontinent, der seit 1956 in der Form kooperiert. Der Binnenmarkt funktioniert. Das Glas ist mindestens halb voll, aber es muss weiter daran gearbeitet werden, zum Beispiel durch Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außenpolitik, der Abschaffung von Steuer-Dumping und durch mehr Einheit in Innovation und Forschung.

Ich bin Physikprofessor in Regensburg. In meinem Labor war für ein Jahr eine Assistenzprofessorin aus China beschäftigt und das war für meine Kollegen und mich sehr spannend. Wir befinden uns innerhalb der Forschung immer in einem internationalen Wettbewerb, aber: Auch unsere Jugend ist intelligent und hat Potenzial. Zudem kann auch unter der Beachtung von Umweltaspekten gut gewirtschaftet werden.

Die Wucht der Größe muss begriffen werden. Es gibt mehr ausgebildete Wissenschaftler durch die schiere Größe Chinas. Es benötigt deshalb eine große Kooperation der führenden Universitäten Europas auf Forschungsebene. Wir können Maßstäbe als Europäer setzen.

Auf der Metaebene haben wir keine Erkenntnisprobleme. Was wir nicht haben, ist die Anbindung an einen Großteil der Bevölkerung. Ich sehe große Probleme, wenn wir diese nicht mitnehmen können. Wir entscheiden über ihre Köpfe hinweg. Wo sind die Visionen und Ziele, die junge Menschen begeistern könnten?

Vision 1: Man muss eine solidarische Gemeinschaft schaffen, die sich weniger auf das Geld als vielmehr auf die Gemeinschaft beruft.

Vision 2: Förderung des sozialen Einsatzes im Ehrenamt

Vision 3: die dauerhafte Friedenssicherung, zum Beispiel durch Diplomatie.

Vision 4: mehr Achtung für die Forschung

Sie sagten, Herr Ministerpräsident Söder würde mehr Flüchtlinge aufnehmen als Sie es für richtig hielten. Welche Größenordnung halten Sie denn für richtig?

Afrika darf uns nicht egal sein. Wir müssen uns als Partner zeigen und den Menschen dort eine Perspektive geben. Eine Aufnahmequote wird aber nicht kommen. EU-Mitgliedsstaaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen, sollten stattdessen zahlen müssen oder die Frontex unterstützen.

 

 


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